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TTIP – Putziger Name für einen Teufelspakt?

  • Autorenbild: Christiane Krieger-Boden
    Christiane Krieger-Boden
  • 28. Dez. 2014
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 23. Jan. 2021

28.12.2014 -- TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) oder auch TAFTA (Trans-Atlantic Free Trade Agreement) sind Namen für das gegenwärtig in der Verhandlungsphase befindliche Freihandels­abkommen zwischen den USA und der EU. Ein ähnliches Abkommen zwischen Kanada und der EU (CETA, Comprehensive Economic and Trade Agreement) wurde 2013 abgeschlossen, ist aber noch nicht ratifiziert.


TTIP (gesprochen „Titip“), das klingt possierlich, doch viele Menschen argwöhnen dahinter nicht viel weniger als die Übernahme des europäischen Kultur- und Abendlandes durch einen US-imperia­listischen Turbo­kapitalismus. Die Befürworter versprechen dagegen eine Ära des Wachstums, der Vollbeschäftigung, des Wohlstands und Glücks für alle in einem eng verbundenen amerikanisch-europäischen Wirtschaftsraum. Wer hat Recht? Natürlich keine der Extrempositionen, die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte.


Zunächst einmal sind Ökonomen sich darin sehr einig, dass freier Handel, also ein freier Austausch aller Güter ohne Zölle und Importbarrieren, kaum zu überschätzenden Nutzen für die beteiligten Länder mit sich bringt. Freier Handel ermöglicht es jedem Land sich auf das zu spezialisieren, was es besonders gut herstellen kann und anderes zu importieren, dabei können auch Größenvorteile in der Produktion wahrgenommen werden, und so kann beispielsweise ein I-Phone arbeitsteilig mit Komponenten aus aller Welt zu (fast) bezahlbaren Preisen hergestellt werden. Damit lassen sich für alle beteiligten Länder ein höheres Produktionsniveau und ein höheres Einkommen erzielen. Freier Handel hat zudem dynamische Vorteile: Er fördert den Wettbewerb, der die Preise und Gewinne in Schach hält, und er wirkt wie Frischluftzufuhr in einem vermieften Raum, indem er tradierte Ansichten, Produkte, Herstellungsweisen verwirbelt und den Weg frei macht für neues Wissen, Innovationen, neue Verfahren, neue Produkte. Auf diesem Weg wird Wachstum und Fortschritt generiert, und es entstehen auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten.


Wahr ist aber auch: Solche Frischluftzufuhr und Wettbewerb behagt nicht jedem. Die Konkurrenz ausländischer Güter kann heimische Produktion verdrängen, und im Zuge des Wandels können Arbeitsplätze und Kompetenzen in Bereichen verloren gehen, die eben nicht international wettbewerbsfähig sind. Daher bemühen sich Länder immer wieder, sensible Bereiche ihrer Volkswirtschaft zu schützen; ein weltweites Freihandelsabkommen ist deshalb trotz langjähriger Bemühungen der Handelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) und der Welthandelsorganisation (WTO) bis heute nicht zustande gekommen. Stattdessen versuchen Länder in bi- oder multilateralen „Abrüstungsverhandlungen“ sich gegenseitig Freiheit für den Güterverkehr einzuräumen. Dabei geht es zwischen entwickelten Volkswirtschaften kaum mehr um Zölle, die sind längst weitestgehend abgeschafft worden. Im Zentrum stehen vielmehr sogenannte „nichttarifäre Handelshemmnisse“, das sind unterschiedliche technische Normen und Standards, aber auch Subventionen, Regulierungen und Zulassungsverfahren, die oft mit Verbraucher-, Umwelt- oder Arbeitsschutz motiviert sind. Dazu muss man wissen: nicht immer wenn Verbraucher- oder Umweltschutz draufsteht, ist das auch drin; nicht selten dienen Regulierungen dem Schutz durchsetzungsstarker einheimischer Produzenteninteressen vor ausländischer Konkurrenz. Zwei Mittel gibt es gegen nichttarifäre Handelshemmnisse: Harmonisierung/Vereinheitlichung der Regulierungen, was of schwer zu erreichen ist, oder Festlegung des Ursprungslandprinzips, wonach das eine Land alle Produkte des anderen Landes akzeptiert, sofern sie den dortigen Regulierungen genügen; dabei werden allerdings in der Regel auch Ausnahmen festgelegt.


Wahr ist auch: Auf die kurze Frist gesehen, ist die Nutzen von freierem Handel eher gering, wie viele empirische Schätzungen zeigen, und das insbesondere, wenn es um Länder geht, die bereits eine sehr weitgehende Handelsliberalisierung realisiert haben, wie im Falle der USA und der EU. Schätzungen des Londoner CEPR lassen einen BIP-Zuwachs von 0,5 % bis 2027 für Europa erwarten, das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 0,05% - als Lohnerhöhung würden wir das eher lächerlich finden. Das ifo-Institut kommt auf einen höheren Zuwachs von ca. 0,5% pro Jahr für Deutschland und berechnet außerdem einen deutlichen Beschäftigungseffekt, der allerdings nur eintritt, wenn eine ambitionierte Version des TTIP verabschiedet wird, was eher unwahrscheinlich ist.


Und was ist mit Chlorhühnchen, Investitionsschutz und Geheimverhand­lungen?

Ja, künftig könnten US-Hühnchen auch auf den europäischen Markt kommen; sie werden in den USA nach der Schlachtung standardmäßig durch ein Chlorbad gezogen, um sie keimfrei zu machen. Das hat große Aufregung in Deutschland verursacht, doch der Chlorgehalt, den man dabei aufnehmen könnte, dürfte viel geringer sein als bei einem durchschnittlichen Besuch im Schwimmbad, und ob unsere mit Antibiotika vollgepumpten und bekanntermaßen hochgradig salmonellenverseuchten Hühner unbedingt appetitlicher sind … Viele Amerikaner ekeln sich übrigens umgekehrt vor dem europäischen Rohmilchkäse; er ist dort verboten, weil er mit Listrien verseucht sein kann; nun müsste er in Zukunft u.U. auch dort zu kaufen sein. Und der Genmais? Die strikte Ablehnung genveränderter Lebensmittel ist eine sehr deutsche Fixierung: Zum einen wurden Gene schon immer verändert, bislang durch Zucht, nun auch durch Veränderungen im Labor – so grundsätzlich ist der Unterschied nicht. Zum anderen werden in anderen Ländern auch mögliche Vorteile der Genveränderungen gesehen, nämlich eine bessere Ernährung der Weltbevölkerung. Immerhin kann der Verbraucher in allen diesen Fällen mit Auszeichnungen und besonderen Labels informiert werden, sodass er selbst die Wahl hat.


In TTIP soll es auch einen Passus zum Investitionsschutz geben. Dieser soll Unternehmen vor politischer Willkür schützen, indem es ihnen ein Entschädigungsrecht einräumt, wenn politische Maßnahmen ihre Investitionen gefährden. Diese Klagen sollen nicht vor ordentlichen Gerichten, sondern vor internationalen Schieds­gerichten in geheimen Verhandlungen entschieden werden. Tatsächlich scheinen Unternehmen zunehmend dazu über zu gehen derartige Klagen gegen Staaten anzustrengen. Der Hintergrund für diesen Passus ist offenbar, dass das Abkommen ein Muster für andere Vereinbarungen mit anderen Ländern sein soll. Bei einem Land wie China ist ein wirksamer Investorenschutz, der sich auch nicht auf die einheimische Gerichtsbarkeit verlässt, sicher angebracht, und man könnte ihn gegenüber solchem Land viel leichter durchsetzen, wenn man darauf verweisen könnte, dass er auch unter westlichen Industrieländern gilt. Dennoch ist dies der problematischste Teil des Abkommens. Er könnte Unternehmen ermöglichen, demokratisch legitimierte Umorientierungen in der Politik durch massive Schadensersatzansprüche zu erschweren. Und er ist ganz überflüssig, weil es sowohl in den USA wie in der EU eine funktionierende Gerichtsbarkeit gibt, auf die man sich getrost verlassen kann.


Und die Geheimverhandlungen? Ja, es scheint ein wenig zu viel Mauscheleien bei den Verhandlungen zu geben, mehr Transparenz wäre sicher wünschenswert. Aber letzten Endes muss ein derartiges Abkommen von der EU-Kommission und sämtlichen Regierungen beschlossen und vom EU-Parlament und den nationalen Parlamenten ratifiziert werden – da bleibt nichts geheim.


Fazit: Falls TTIP überhaupt kommen sollte, was angesichts der Proteste von beiderseits des Atlantiks höchstens in stark abgeschwächter Form eintreten könnte, wäre das nicht das Ende des hiesigen Verbraucher- und Umweltschutzes, aber es würde auch keine Wohlstands-Blütenträume in den Himmel wachsen lassen – vermutlich würden wir so oder so kaum einen Unterschied spüren.

ree

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