Gendern!
- Christiane Krieger-Boden
- 9. März 2022
- 3 Min. Lesezeit
Ich "gendere", indem ich generisches Maskulinum, Femininum und Neutrum verwende. Ob der Mensch, die Person oder das Kind, ob der Star, die Koryphäe oder das Genie, der Hund, die Katze oder das Pferd, selbst der Tote, die Leiche oder das Opfer, ich schließe damit alles ein und grenze niemanden aus, ob männlich, weiblich, divers oder was auch immer, ich umarme die ganze Welt!
Die Vorstellung, dass man durch Sprachveränderungen wie Gendersternchen die Welt verändern könnte, ist naiv und leicht zu widerlegen. Es mag schon sein, dass bei „Ärzten“ oder „Anwälten“ immer noch vor allem männliche Kopfbilder erzeugt werden – und das, obwohl es mittlerweile mindestens ebenso viele oder sogar mehr Ärztinnen und Anwältinnen gibt. Aber bei „Menschen“, „Bürgern“, „Wählern“ oder „Rentnern“ denkt wohl kaum jemand nur an Männer, und bei „Personen“ und „Arbeitskräften“ nicht nur an Frauen, obwohl letztere Worte im generischen Femininum stehen. Nicht das grammatikalische Geschlecht erzeugt die Kopfbilder, sondern die alltägliche Erfahrung und Gewohnheit, und dieser Einfluss verändert sich nur langsam. Früher waren Ärzte eben fast ausschließlich Männer, und das hängt nach. Und auch „die Koryphäe“ stellen wir uns mutmaßlich doch eher als Mann denn als Frau vor, oder? Da hilft alles sprachliche Femininum nichts. Es ist auch schon oft darauf hingewiesen worden, dass Gesellschaften, in deren Sprache es gar keine grammatikalischen Unterschiede zwischen Maskulinum und Femininum gibt, wie etwa die türkische, sich dennoch nicht unbedingt durch besonders gelungene Gleichstellung und angemessene Würdigung der Frauen auszeichnen, um es vorsichtig zu formulieren.
Im Gegensatz zur generischen „Weltumarmung“ baut „Gendern“ Barrieren auf, statt sie zu beseitigen, denn es hebt ja gerade den Zerfall der Welt in Männer und Frauen hervor, statt ihn einzuebnen. Und es schafft damit erst ein Problem, dass es vorher gar nicht gab, nämlich die Gruppe derjenigen irgendwie anzusprechen, die sich weder als Frauen noch als Männer fühlen. Dafür also das Gendersternchen, dafür der hässliche Knacklaut zwischen männlicher und weiblicher Form, der in der deutschen Sprache phonetisch nicht angelegt ist. Und dieses knackende Gendersternchen tut weh, jedem, der die deutsche Sprache liebt und dem sie Heimat ist, jedem, dem Tradition wichtig ist als die Wurzel, auf der wir alle fußen. Das ist übrigens die Mehrheit der Deutschen, offenbar sogar die Mehrheit der jungen Deutschen.
Wenn man schon unbedingt die Sprache „gendertechnisch“ verändern will, dann würde ich eher einen Vorschlag meines Kollegen empfehlen: alle Geschlechtsendungen wegzulassen und alle sonstigen Flexionen weitgehend abzuschaffen und die Artikel durch ein einheitliches „de“ bzw. „een“ zu vereinfachen, was in vielen deutschen Dialekten ohnehin schon angelegt ist: de Mensch, de Person, de Kind; auch: de Arzt, de Anwalt usw.. Das wäre also eher in eine Tradition eingebunden und würde nicht in den Ohren wehtun; es würde gleichzeitig das Erlernen der deutschen Sprache erheblich erleichtern, beispielsweise für Zuwanderer, während Gendersternchen oder -doppelpunkte dieses erheblich erschweren. Oder wer soll das verstehen, wenn etwa aus „dem Bürgermeister“ „der*ie Bürger*innenmeister*in“ wird?
Aber vor allem sollten Frauen und andere benachteiligte Personengruppen ihre Energien nicht an sprachliche Spiegelfechtereien verschwenden, statt sie auf die Veränderung der realen gesellschaftlichen Verhältnisse zu verwenden – durch Etablierung neuer gesetzlicher sowie ungeschriebener Regeln, sei es gegen Diskriminierung oder für Quoten, vor allem aber, indem sie sich selbstbewusst und zielstrebig darauf konzentrieren, ihr Ideal zu leben. Mich hat jedenfalls nichts daran hindern können, ein männlich dominiertes Studienfach zu wählen, oder mich auf rein männlich formulierte Stellenanzeigen zu bewerben, damals, als es all solches noch gab, oder meine Berufstätigkeit auch als Mutter durchzuziehen, obwohl das schlecht angesehen und mit vielen Steinen im Weg beschwert war. Und ich bilde mir ein, dadurch mehr für die Sache der Frauen getan zu haben, als alle Sternchen jemals erreichen könnten.
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