Regionalpolitische Ansätze und ihre Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung,
- Christiane Krieger-Boden
- 19. Feb. 2005
- 10 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Feb. 2021
Vortrag bei der Fachkonferenz Regionalpolitik der IHK Halle/Dessau am 20. 9. 2004 in Halle (Saale)
Gründe für politische Eingriffe
In der Bundesrepublik gab es seit jeher eine starke Ausrichtung auf Regionalpolitik – auch zu Zeiten, als es, objektiv betrachtet, nur sehr geringe Regionalprobleme gab und die Bundesrepublik im Vergleich zu vielen westeuropäischen Nachbarn ein ziemlich homogenes Land war. Nach der Wiedervereinigung hat sich die regionale Heterogenität allerdings dramatisch verschärft. Regionalpolitik als eine Politik, die auf Gebiete abzielt, erscheint nun erst recht als gebotenes Politikmittel.
Aus Ökonomensicht sollte sich Regionalpolitik wie alle staatlichen Eingriffe aus allokativen, distributiven oder stabilitätsorientierten Zielsetzungen ableiten lassen. Dabei kann man vielleicht die stabilitätsorientierte Zielsetzung als für die regionale Ebene weniger bedeutsam vernachlässigen.
Die allokative Zielsetzung besteht darin, eine effiziente Ausnutzung der Ressourcen zu erreichen. Nicht jede regionale Differenzierung erfordert nach dieser Sichtweise einen Eingriff des Staates, sie kann effizient sein. Korrekturbedarf ergibt sich allerdings möglicherweise, wenn Marktversagen vorliegt – und die Korrektur erfolgt entweder indem Rahmenbedingungen so verändert werden, dass sich effiziente Marktlösungen einstellen können, oder indem Finanzhilfen gewährt werden.
Die distributive Zielsetzung besteht darin, das Marktergebnis an bestehende Vorstellungen von einer gerechten Verteilung anzupassen. Das kann im nachhinein durch Umverteilung (Steuern und Finanztransfers) erfolgen, oder aber von vornherein, indem in den Marktprozess eingegriffen wird um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Eine Korrektur ist aber nur dann erforderlich, wenn die Marktkräfte nicht von sich aus auf einen Ausgleich hinwirken.
Die stabilitätspolitische Zielsetzung, also der Schutz vor starken konjunkturellen Schwankungen, spielt als wirtschaftspolitische Aufgabe auf einer regionalen Ebene kaum eine Rolle.
Die Frage ist nun, wann ein Regionalproblem vorliegt, das nach diesen Kriterien den Einsatz von Regionalpolitik rechtfertigt: wann also Marktversagen besteht, das die gesamtwirtschaftliche Effizienz beeinträchtigt, und wann schwere Disparitäten auftreten, die sich nicht von allein auflösen.
Das Regionalproblem in der ökonomischen Theorie
Aus theoretischer Sicht gibt es unterschiedliche Erklärungen für regionale Differenzierungen.
In der neoklassischen traditionellen Außenhandels- und Wachstumstheorie wurden solche Differenzierungen nicht als großes Problem gesehen. Die Gründe für die Differenzierungen werden in unterschiedlichen Faktorausstattungen im Ausgangszustand gesehen, freier Handel führt zur arbeitsteiligen (Heckscher-Ohlin-)Spezialisierung verschiedener Regionen auf verschiedene Güterbündel; das ist effizient und führt im Regelfall zu einem Ausgleich der Faktoreinkommen, also zu gleichem Lohn für gleiche Faktoren, wo immer sie sind. Auch Wachstumsprozesse führen zu gleichen Einkommen in allen Regionen, sofern nur überall die gleiche Produktionstechnik und Sparneigung besteht.
Immerhin wird auch ein interessanter Spezialfall beschrieben: Ist ein Produktionsfaktor, z.B. Humankapital, hochgradig auf wenige Regionen konzentriert, und daher in anderen Regionen äußerst knapp, dann kann er in diesen benachteiligten Regionen zum Engpassfaktor werden. Diese Regionen müssen sich vollständig auf Güterbündel spezialisieren, zu dessen Herstellung der knappe Faktor wenig benötigt wird, also z.B. auf arbeitsintensive Güter. In diesem Fall kommt ein Faktoreinkommensausgleich allein durch Handel und Arbeitsteilung nicht zustande; in den betroffenen Regionen werden die dort reichlich vorhandenen Faktoren (Bsp: Arbeitskräfte) schlechter als anderswo entlohnt, der knappe Faktor (Humankapital) allerdings besser als anderswo. Sind die Faktoren mobil, dann ist dieser Spezialfall allerdings nicht stabil (Humankapital würde zuwandern, Arbeitskräfte abwandern).
Fazit: Es gibt nach diesen Theorien kein Marktversagen und es tritt in der Regel auch keine gravierende nachhaltige Ungleichheit auf, weder allokative noch distributive Zielsetzungen werden längerfristig verletzt, einen Grund für Regionalpolitik gibt es daher nicht.
In Theorien, die Agglomerationsvor- und nachteile und Faktorwanderungen berücksichtigen, wie die traditionellen Polarisationstheorien oder die neuen ökonomischen Theorien, von der neuen Handelstheorie über die neue ökonomische Geographie bis zur Theorie endogenen Wachstums (vgl. z.B. Fujita, Krugman and Venables 1999, Baldwin et al. 2003), ist die Sicht auf das Regionalproblem eine andere. Danach hängt Art und Ausmaß regionaler Disparitäten von der relativen Stärke zentripetaler und zentrifugaler Kräfte ab, und diese ändert sich wiederum je nach Höhe der Raumüberwindungskosten zwischen Regionen. Bei sehr hohen Raumüberwindungskosten (Autarkie) und sehr niedrigen überwiegen die zentrifugalen Kräfte und führen zur gleichmäßigen Dispersion wirtschaftlicher Aktivitäten über den Raum. Bei einem mittleren Niveau der Raumüberwindungskosten führen starke zentripetale Kräfte jedoch zur selbstverstärkenden Agglomeration, die je nach Modellannahmen auch in einer sehr einseitigen Spezialisierung und extremer Polarisierung zwischen zentralen und peripheren Regionen enden kann.
Basis des Agglomerationsprozesses sind Güter mit steigenden Skalenerträgen in der Produktion. Sofern Raumüberwindung Kosten verursacht, schaffen die steigenden Skalenerträge Anreize dafür, die Produktion dieser Güter an einem einzigen Standort zu konzentrieren – an dem Standort mit der größeren Binnennachfrage, sei es intermediäre oder Endnachfrage. Aufgrund der monopolistischen Situation dieses Standortes können dort die Reallöhne steigen. Arbeitskräfte strömen aus anderen Regionen zu und werden, da sie gleichzeitig die Endnachfrage weiter vergrößern, zum Motor eines sich zirkulär verstärkenden Agglomerationsprozesses. Arbeitskräfte können auch aus anderen Sektoren des gleichen Standortes zuströmen; der dadurch vergrößerte Sektor mit Skalenerträgen verstärkt die Nachfrage nach intermediären Inputs, die er auch selbst befriedigt, was ebenso zum Auslöser eines sich selbstverstärkenden Agglomerationsprozesses werden kann. In dem entstehenden Pol-Peripherie-System bleibt der Peripherie nur der Sektor mit konstanten Skalenerträgen, vollständigem Wettbewerb und geringen Einkommenschancen. Auch fördert die Agglomeration das Wachstum, weil sie in höherem Maße wachstumsgenerierende Innovationen induziert, und weil der Transfer des entstandenen Wissens und der Technologie auf die Wirtschaft meist räumlich begrenzt erfolgen. Dadurch steigen vor allem die Wachstumsperspektiven der zentralen Agglomerationsregion, wenngleich eine steigende Gesamtnachfrage, auch nach den Gütern der peripheren Regionen, diesen ebenfalls zusätzliches Wachstum beschert.
In dieser Theorie gibt es Monopolpreise, Externalitäten und multiple Gleichgewichte. Es hängt von Zufällen ab, welche Regionen zu Standorten für Agglomerationsprozesse werden; geringfügige Unterschiede können weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Einmal entstanden, lässt sich Polarisierung nur schwer wieder auflösen (Pfadabhängigkeit). Allerdings können exogene Veränderungen der Transportkosten die Balance zwischen zentripetalen und zentrifugalen Kräften in der Weise verschieben, dass es an bestimmten kritischen Punkten zu einer vollständigen Umkehr der Lohndifferentiale und damit auch der Arbeitsteilung zwischen den Regionen kommt. Am Ende eines langen Weges könnte sich auch nach diesen neuen Theorien ein Ausgleich von Faktoreinkommen einstellen, doch wenn die zentripetalen Kräfte zu groß sind, um ausbalanziert zu werden, oder wenn die Senkung der Raumüberwindungskosten auf halbem Wege stecken bleibt, dann könnten regionale Disparitäten hartnäckig fortbestehen.
Fazit: Es gibt nach diesen Theorien Marktversagen in dem Sinne, dass Regionen durch puren Zufall in Armutsfallen getrieben werden, denen sie aus eigenen Kräften nicht entkommen können. Dabei kann gravierende Ungleichheit auftreten. Allokative wie distributive Zielsetzungen werden also verletzt, regionalpolitische Eingriffe erscheinen nach diesen Theorien geboten.
Soweit war nur von Lohndisparitäten die Rede, nicht aber von Arbeitslosigkeit, die in der Tat in diesen Theorien nicht vorkommt. Arbeitslosigkeit ist aber eine indirekte Folge, wenn die beschriebenen, möglicherweise extremen Faktorlohndifferenzen nicht zugelassen werden, weil es z.B. Mindestlöhne, Sozialhilfe und Flächentarifverträge gibt. Im folgenden kann man von der Annahme ausgehen, dass sich die theoretisch ableitbaren regionalen Disparitäten sowohl in Lohndifferenzen als auch in Arbeitslosigkeit niederschlagen können.
Fazit: Man sollte im Hinterkopf behalten, dass Arbeitslosigkeit nicht allein aus dem Regionalproblem resultiert, sondern erst in Verbindung mit entsprechenden Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt auftritt.
Möglichkeiten und Grenzen von Regionalpolitik
Ein Fall für Regionalpolitik also? Dieselben Theorien, die eine Notwendigkeit für Regionalpolitik nahelegen, werfen allerdings auch erhebliche Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit, ja der Durchführbarkeit von Regionalpolitik auf (Neary 2001, Ottaviano 2002, Baldwin et al. 2003). Zwar ist innerhalb der theoretischen Welt vorstellbar, die ökonomische Effizienz zu erhöhen / Marktunvollkommenheiten zu beseitigen durch Festsetzung der Preise auf Grenzkostenniveau, und durch Ausgleichszahlungen für Externalitäten. „Strategische Standortpolitik“ kann darin bestehen, benachteiligte Standorte gezielt zu fördern: durch Infrastrukturausbau oder durch Transfers zugunsten dieser Regionen oder auch speziell zugunsten von Wirtschaftszweigen mit Skalenerträgen in diesen Regionen. Durch Verringerung der Polarisierung geht auch die Notwendigkeit für starke regionale Lohndifferenzierung zurück, und damit kann auch die Arbeitslosigkeit gesenkt werden. Aber:
Wenn durch die Regionalpolitik der Agglomerationsprozess behindert wird, kann das negative Folgen für das Wachstum insgesamt, und damit auch für das Wachstum der benachteiligten Region haben.
In der Polarisierungsphase sind die Agglomerationskräfte möglicherweise so stark, dass eine Regionalpolitik, die sie aufhalten sollte, ebenfalls sehr stark ausgelegt sein müsste, was sehr kostspielig wäre.
Die Kombination von anfänglicher Zufälligkeit und anschließender Pfadabhängigkeit des Polarisierungsprozesses impliziert, dass Regionalpolitik in der Ausgangsphase eine sehr große, in einer bereits verfestigten Situation dagegen überhaupt keine Wirkung haben kann. Das vielleicht eben durch die Regionalpolitik erzeugte Ergebnis könnte dann nicht einmal mehr durch eine vollständige Umkehr dieser Politik rückgängig gemacht werden.
Man kann deshalb von der Wirkung der Regionalpolitik in der Vergangenheit nicht auf deren Wirkung in der Zukunft schließen.
Die „de minimus“-Regel (wenig bewirkt auch wenig) gilt nicht: selbst vorsichtig-tastende, geringfügige Korrekturversuche können – in der Modellwelt – dramatische Entwicklungen auslösen.
Für einen Erfolg setzen viele theoretisch denkbare regionalpolitische Maßnahmen einen zielgenauen und richtig dosierten Einsatz voraus. Das ist bei der Übertragung auf die Wirklichkeit ein schwerwiegendes Problem. Falsch platziert und falsch dosiert kann die Regionalpolitik völlig andere als die vom Modell her erwarteten Wirkungen haben. Von daher spricht viel gegen eine fallweise vergebene und selektive Regionalpolitik und für eine automatisch vergebene und allgemeine Regionalpolitik (Beispiel für letzteres: allgemeine, unbedingte Steuerpräferenz von x % in allen Regionen mit höchstens y % Pro-Kopf-Einkommen oder mindestens z % Arbeitslosigkeit).
Verschiedene Politikeingriffe, etwa mit verschiedenen Instrumenten oder aus anderen Politikbereichen beeinflussen sich wechselseitig und können in der Summe zu völlig anderen Ergebnissen führen als für sich genommen.
In der Theorie wird die notwendige Finanzierung regionalpolitischer aßnahmen in der Regel nicht modelliert, auch crowding-out-Effekte, sowie das Entstehen von moral hazard und Lobbyismus werden nicht berücksichtigt. Dies alles kann dazu beitragen, dass in der Realität die polarisierungsdämpfenden Wirkungen schwächer, die wachstumsbehindernden Effekte jedoch weit stärker sind als in der Modellwelt.
Diskussion regionalpolitischer Ansatzpunkte
Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Überlegungen können im folgenden Vor- und Nachteile einiger existierender oder in der Diskussion befindlicher regionalpolitischer Ansatzpunkte diskutiert werden.
Finanzausgleich und Steuerpräferenz: Nach der Theorie stärkt ein zweckungebundener Transfer an die benachteiligte Region ihren Heimmarkt und schwächt den der Agglomerationsregion; das führt zur dauerhaften Expansion in der benachteiligten Region (Baldwin et al. 2003). Ähnlich wirkt eine allgemeine Steuerpräferenz für die benachteiligte Region, sofern etwaige Mindereinnahmen in der Region durch ein zentralisiertes gleiches Zuweisungsverfahren ausgeglichen werden. Allerdings schwächen beide Arten von finanzieller Begünstigung genau durch die Dämpfung der Polarisierung das gesamtwirtschaftliche Wachstum und damit auch das Wachstum der benachteiligten Region: längerfristig gesehen könnte die Region sich schlechter stehen als ohne die finanzielle Begünstigung. Aus distributionspolitischen Gründen kann man jedoch gut argumentieren, dass jede Region (Land, Kommune) finanziell wenigstens so ausgestattet sein sollte, dass bestimmte öffentliche Grundfunktionen erfüllt werden können.

Bildungsförderung: Ganz besonders gilt dies sicherlich für den (Schul-) Bildungsbereich; für eine gleichmäßige Qualität der Ausbildung als zentrale Staatsaufgabe wäre dabei möglicherweise auch ein zweckgebundener Transfer denkbar. Die Chancengleichheit der Kinder sollte gewahrt sein, gleichgültig wo sie aufwachsen. Das fördert das Wachstum insgesamt, und auch das der benachteiligten Region. Ob die Polarisierung dadurch gedämpft wird, hängt allerdings vom Mobilitätsverhalten der Herangewachsenen ab.

Infrastrukturausbau am Beispiel der Verkehrsinfrastruktur: Nach der Theorie kann eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur innerhalb der benachteiligten Region zu einer dauerhaften Expansion führen, weil der dortige Heimmarkt dadurch gestärkt wird. Allerdings wird auch gesamtwirtschaftliches Wachstum gedämpft mit negativen Folgen auch für die benachteiligte Region. Ein Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zwischen Pol und Peripherie stellt dagegen den Abbau des „Transportkostenschutzes“ für benachteiligte Region dar und verbessert dementsprechend die Attraktivität der Agglomeration. Gleichzeitig wird das gesamtwirtschaftliche Wachstum gefördert, was auch der benachteiligten Region nützt.
Natürlich hat der Infrastrukturausbau solche Wirkungen nur dann, wenn er zu einer Senkung der Transportkosten beiträgt, wenn also vorher noch Defizite vorlagen.
Wachstumspolförderung („Leuchttürme“): Häufig wurde in letzter Zeit verlangt, die Regionalpolitik stärker zu konzentrieren: Statt vieler, häufig stark benachteiligter Regionen sollen lieber einige wenige „Wachstumspole“, benachteiligte Regionen mit einem gewissen Entwicklungspotential, gefördert werden. Diese „Leuchttürme“ sollen dann auf ihre Umgebung ausstrahlen. Häufig wird das auch noch verbunden mit einer Festlegung auf bestimmte sektorale Schwerpunkte der Förderung, etwa humankapitalintensive Produktionen.
Doch solche Förderung könnte leicht allokative wie distributive Zielsetzungen verletzen. Denn allokationseffizient ist eine solche Förderung nicht, dafür müssten die vorhandenen Wachstumspole gefördert werden, nicht die nur potentiellen. Die Verteilungsgleichheit nimmt auch nicht zu, wenn anstelle einer großräumigen Polarisierung zwischen bestehenden Polen und restlichen benachteiligten Regionen eine zusätzliche kleinräumige Polarisierung innerhalb der benachteiligten Regionen tritt, zwischen neu-entstehenden Polen und den restlichen Regionen. Und in jedem Fall ist es extrem schwierig, zu bestimmen wo denn die räumlichen und sektoralen Potentiale liegen, die es zu fördern gilt. Bei einer Fehleinschätzung kann diese Politik zu unerwünschten Ergebnissen führen.
Wettbewerb der Standorte: Dabei soll durch eine Vielzahl von Standortverbesserungen in eigener Verantwortung der Regionen die Attraktivität gesteigert werden. Ähnlich wie beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, kann auch durch den Abbau von mannigfachen (Über-)Regulierungen das Niveau der Raumüberwindungskosten innerhalb der Region gesenkt und ihre interne Integration verbessert werden, und dies kann in entsprechender Weise die Polarisierung dämpfen. Dies dürfte gleichzeitig auch gesamtwirtschaftlich wachstumsfördernd sein. Eine solche Politik, die vielleicht keine Regionalpolitik im engeren Sinne ist, erfordert vor allem eine weitgehende Dezentralisierung der politischen Verantwortung bis hin zur eigenen Steuerhoheit für Kommunen.
Gleiche Lebensverhältnisse / passive Sanierung: Die Aussage, gleiche Lebensverhältnisse wären in Deutschland auf absehbare Zeit nicht herzustellen, hat jetzt gerade viel Aufsehen erregt. Angesichts der hier diskutierten Möglichkeiten und vor allem Grenzen von Regionalpolitik ist diese Aussage aber nicht unplausibel. Zudem ist ohnedies nicht leicht festzustellen, was denn gleiche Lebensverhältnisse sind: sicher lassen sie sich nicht durch Pro-Kopf-Einkommen messen, sondern müssen schon mindestens das örtliche Preisniveau (z.B. bei Mieten) mit einkalkulieren. Des weiteren gibt es nicht-pekuniäre Einkommen wie die Verfügbarkeit von unberührter Natur, von besonderen Freizeitattraktionen, von einem interessanten Kulturleben, von Nähe zu angestammten Freunden und Verwandten, die überdies individuell unterschiedlich geschätzt werden und die einen Vergleich von Lebensverhältnissen letztlich unmöglich machen.
Und wenn sich Wirtschaftssubjekte unter Abwägung all dieser Interessenlagen und dem Einschätzen der ökonomischen Situation für Abwanderung aus manchen Regionen entscheiden (passive Sanierung), so sollte man von Seiten der Regionalpolitik diesen Prozess nicht unter allen Umständen zu verhindern suchen. Das entspricht der ökonomischen Vernunft, der Einsicht ins Machbare und verspricht sogar möglicherweise als Nebeneffekt einen ökologischen Gewinn.
Fazit
Es sind vor allem die Polarisationstheorien und die neuen ökonomischen Theorien, die ein explizites Regionalproblem beschreiben. Es besteht darin, dass durch erhebliches Marktversagen allokative Zielsetzungen und durch starke, dauerhafte Disparitäten distributive Zielsetzungen verletzt werden. Die Disparitäten können durch Zufälle begründet sein, und sie können von den benachteiligten Regionen allein aus eigener Kraft kaum wieder aufgelöst werden. Die gleichen Theorien zeigen aber auch eng gesteckte Grenzen für Regionalpolitik auf: Wenn sie den Agglomerationsprozess überhaupt dämpfen kann, dann hat dies Folgen für das gesamtwirtschaftliche Wachstum und damit auch wiederum für die benachteiligte Region.
Die Diskussion verschiedener Ansätze zeigt, dass dieser Basiskonflikt nur durch wenige Maßnahmen gebrochen werden kann: vor allem durch Bildungsförderung, durch Förderung von Wissenstransfer, durch Verbesserung der Standortattraktivität durch Deregulierung in eigener Verantwortung, vielleicht auch durch eine allgemeine Steuerpräferenz für benachteiligte Regionen, in Verbindung mit einem allgemeinen zweckungebundenen Finanzausgleich, der die regionsinternen Kräfte unterstützt. Eine derartige Minderung der Polarisierungskräfte, in Kombination mit effizienten arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen kann auch Arbeitslosigkeit abbauen helfen. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass Regionalprobleme schnell und endgültig gelöst werden können.
Literatur
Baldwin, R., R. Forslid, P. Martin, G.I.P. Ottaviano, F. Robert-Nicoud (2003). Economic Geography and Public Policy. Princeton .
Fujita, M., P. Krugman and A.J. Venables (1999). The Spatial Economy: Cities, Regions and International Trade. Cambridge (Mass.).
Krieger-Boden, C., and K. Lammers (1996), Subventionsabbau in räumlicher Perspektive: Wirkungszusammenhänge und Schlußfolgerungen. Kieler Diskussionsbeitrag 280. Kiel.
Neary, J.P. (2001). Of Hypes and Hyperbolas: Introducing the New Economic Geography. Journal of Economic Literature 39: 536-561.
Ottaviano, G.I.P. (2002). Regional Policy in the Global Economy: Insights from New Economic Geography. HWWA Discussion Paper 211. Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv. Hamburg.
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