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Kopftücher

  • Autorenbild: Christiane Krieger-Boden
    Christiane Krieger-Boden
  • 2. Mai 2017
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 4. Feb. 2021

Ich gestehe es, ich habe starke Vorbehalte gegen das Tragen der islamischen Kopftücher – oder gar Gesichtsschleier –, alles wohlgemerkt Bekleidungen für Frauen und nur für Frauen. Von Kollegen (tatsächlich zufällig nur Männer) bin ich dafür immer wieder heftig angegriffen worden: ich würde Frauen ihre Freiheit nehmen wollen, selbst zu entscheiden, was sie tragen wollen. Damit fühle ich mich verbal in eine argumentative Ecke getrieben, in die ich gar nicht gehöre. Dies ist mein Standpunkt zum Kopftuchstreit:

  1. Ich bin überhaupt und ganz generell nicht sehr für Verbote, ich bin eher der permissive Charakter. Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich vermutlich keine allgemeinen Verbote von Kopftüchern, vielleicht nicht einmal von anderen dubioseren Kleidungsstücken, durchsetzen, um das mal deutlich zu sagen. Auf einem anderen Blatt steht aber, dass ich Verständnis und ein wenig auch Sympathie für solche Maßnahmen habe, dort wo sie getroffen werden. Ich bin nicht entschieden, ob solche Verbote richtig sind, insbesondere was das Zweck-Mittel-Verhältnis angeht, aber ich kann den Zweck zumindest nicht als völlig falsch empfinden.

  2. Denn die Botschaft, die solche Kleidung nach außen vermittelt, das, wofür diese Kleidung steht, die externen Effekte also, die sind meiner Meinung nach deutlich, erheblich und für Frauen wie Männer bedenklich.

  3. Die besonderen Bedeckungen für muslimische Frauen werden zwar vielleicht von der Religion gefordert (und es gilt ja Relgionsfreiheit) – ob wirklich oder vermeintlich, ist dabei offensichtlich bereits Interpretationssache. Zitat: „[Im Diskurs] verschwinden gesellschaftliche Strukturen und der Blick auf das Gewordensein des Kopftuchs – für das es im Islam bekanntermaßen kaum Vorschriften gibt, die seine Anwendung regeln oder überhaupt erwähnen. Die wenigen Suren und Überlieferungen bleiben, wie könnte es anders sein, eine Frage der Deutung und also der Machtverhältnisse; noch vor einigen Jahrzehnten löste die Forderung der Muslimbrüder nach einem Schleierzwang großes Gelächter aus in Ägypten, und es ist auch noch nicht lange her, dass sich das iranische Mullah-Regime den schwarzen Tschador ausdachte.“ (Martin Eimermacher, Zeit online vom 02.05.2019, eigene Vorhebungen).

  4. Es erscheint mir aber als ziemlich offensichtlich, dass die Verhüllungen nicht das Verhältnis zwischen einer Frau und ihrem Gott betreffen, sondern das (Macht-)Verhältnis zwischen Frauen und Männern. Denn die Frauen sind ja nicht gehalten, sich generell vor Allah zu bedecken (etwa aus Demut, wie z.B. die Juden mit ihrer Kippa, oder als Bekenntnis, wie die Christen mit ihrem Kreuzanhänger an der Halskette), sondern ganz explizit vor den Blicken fremder Männer! Das heißt, es geht bei dem Kopftuch eben nicht primär um Religion, sondern um Geschlechter­beziehungen – und um die Degradierung von Frauen.

  5. Das dahinterstehende – patriarchalische – Geschlechtermodell lautet etwa folgendermaßen: Männer sind vor allem mal Menschen, und ob sie als gut oder schlecht zu beurteilen sind, hängt von der Gesamtbilanz ihres Handelns ab. Insbesondere genießen sie weitgehendes sexuelles Selbstbestimmungs-recht. Männer, die sich sexuell ausleben, gelten sogar als tolle Kerle. Frauen sind danach dagegen vor allem Frauen und erst in nachgeordneter Linie Menschen; gut oder schlecht wird in erster Linie nach ihrem Sexualverhalten (im weitesten Sinne) beurteilt und es gilt das antagonistische Prinzip von „Heilige oder Hure“, die normale irdische Version dazwischen ist nicht vorgesehen. Frauen haben in diesem Modell kein sexuelles Selbstbestimmungsrecht; wenn sie sich sexuell ausleben, gelten sie als „Schlampe“. Im Extremfall werden sie zusätzlich noch dadurch unter Druck gesetzt, dass von ihrem Sexualverhalten nicht nur ihr eigener Wert, ihre eigene „Ehre“, sondern sogar die „Familienehre“ abhängig gemacht wird. Entsprechend dem antagonistischen Prinzip werden Frauen in diesem Geschlechtermodell gleichzeitig in den Himmel gehoben (insbesondere als Mütter) und dämonisiert (als Verführerinnen). Für etwaige sexuelle Übergriffe werden demzufolge bequemer Weise nicht die Männer (als immerhin die körperlich Überlegenen), sondern die Frauen verantwortlich gemacht, und konsequenterweise werden in manchen Ländern unter der Scharia im Falle von Vergewaltigungen die Frauen, also die Opfer, bestraft, aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sogar hingerichtet, und die „beteiligten“ Männer manchmal nicht mal dann, wenn man ihrer habhaft geworden ist.

  6. Aus dieser Geisteshaltung folgt das Bedeckungsgebot unmittelbar: die Frau hat dafür zu sorgen, dem (fremden) Mann keinen Anlass zu sexuellen Übergriffen zu geben, in dem sie ihre Weiblichkeit, ihre Persönlichkeit, ihre Identität, am besten sogar sich selbst in toto zurücknimmt. Sie muss sich sozusagen unsichtbar machen. Das reicht dann vom völligen Einsperren im Haus, über Burka (mit vergittertem Fenster zur Welt), körperbedeckenden Mänteln bis eben zum Kopftuch als mildester Form eines mobilen Gefängnisses – wobei manche „Kopftücher“ schon eher an massive Verbände erinnern, mit denen man den weiblichen Kopf offenbar wie eine schlimme, ansteckende Wunde umwickeln muss. Eine derart „bedeckte“ Frau verkörpert, ob ihr das nun selbst bewusst ist oder nicht, die charmante Botschaft an jeden fremden Mann, dass er als potentieller Vergewaltiger zu betrachten ist, und an jede unbedeckte Frau, dass sie in sexueller Hinsicht als Freiwild betrachtet werden darf! Und genauso verstehen das dann auch viele – selbst junge, selbst im Westen aufgewachsene – patriarchalisch geprägte Männer. Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind unter solchen Bedingungen stark sexualisiert; da eine normale unverkrampfte Alltagsbeziehung kaum möglich ist, fällt die Gesellschaft in zwei weitgehend unverbundene Parallelgesellschaften – eine offizielle Männergesellschaft und eine stille, verborgene Frauengesellschaft.

  7. Ein Gegenargument lautet, dass solche Zusammenhänge für selbstbewusste, freiwillig entscheidende Kopftuch­trägerinnen gar keine Rolle spielten, dass diese Zusammenhänge überhaupt nur in den ahnungslosen und vorurteilsbeladenen, vielleicht sogar fremdenfeindlichen und böswilligen Köpfen westlicher Beobachter(innen) existierten. Die Tatsache allerdings, dass der Kopftuchstreit keineswegs nur in westlichen, sondern gerade auch in muslimischen Gesellschaften mit großer Heftigkeit ausgetragen wird, ist für mich ein Beleg, dass es in der Tat nicht einfach nur um ein relativ gleichgültiges Kleidungsstück, sondern um elementare gesellschaftliche Rollenvorstellungen geht. Was die Trägerin eines Kopftuchs oder gar einer Burka sich persönlich selbst dabei denkt, dieses zu tragen, ist für mich völlig unerheblich und sollte es auch für jeden anderen sein; jegliche Gesinnungsforschung ist ebenso sinnlos wie entwürdigend; die eigenen Gedanken sollten schon jedem allein zustehen. Außerdem ist das ein vorgeschobenes Argument: Dieselben Verteidiger des Kopftuchs für selbstbestimmte Frauen würden es doch wohl auch bei solchen Frauen nicht verurteilen wollen, die es nur aus Gehorsam (oder Liebe?) zu ihrem Mann/Vater/Bruder tragen. Nein, das persönliche Motiv der Trägerin ist außer für sie selbst völlig irrelevant, es kann in dieser Argumentation ausschließlich um die Botschaft nach außen gehen, um die beschriebenen externen Effekte. Um das mal so auszudrücken: Das Zeichen: A wird aus Konvention und Tradition, wo immer es verwendet wird, als Laut „aaaah“ gedeutet. An dieser Außenwirkung des Zeichens ändert es nichts, wenn jemand nach langem intensivem Beraten mit sich selbst beschließt, mit „A“ jetzt persönlich immer den Laut „bbbb“ zu meinen.

  8. Das patriarchalische Geschlechtermodell hatte oder hat durchaus auch im christlichen Westen eine Tradition (inkl. Kopfbedeckungen für „unter die Haube gebrachte“ Frauen). Man kann es, wenn man will, sogar evolutionstheoretisch begründen: Männer müssen ein genetisch bedingtes Interesse haben, das Fortpflanzungsverhalten von Frauen zu kontrollieren, um nicht unbeabsichtigt Kuckuckskinder groß zu ziehen; Frauen haben „naturgemäß“ ein entgegengesetztes Interesse. Solange Männer die Macht haben, werden sie versucht sein, ihr Interesse gegen das der Frauen durchzusetzen. Das Modell ist aber bei uns glücklicherweise insbesondere innerhalb des letzten Jahrhunderts stark zurückgedrängt worden. Glücklicherweise: weil das nicht nur die Frauen aus der sexuell-moralischen Antagonismushaft entlassen hat, und sondern weil es auch das Geschlechter­verhältnis ganz allgemein entkrampft und vereinfacht hat. Nur so ist es möglich, dass Männer und Frauen heute auf einer alltäglichen allgemein-menschlichen Ebene ziemlich unkompliziert zusammenleben, -arbeiten und kommunizieren können. Sie bilden nicht mehr zwei Parallelgesellschaften, sondern eine gemeinsame Gesellschaft, was in meinen Augen eine unglaubliche Bereicherung für Männer wie Frauen darstellt. Mir geht es angesichts dieser Bereicherung darum, das Rad nicht wieder zurückzudrehen! Keine schleichende Resexualisierung der alltäglichen Beziehungen!

  9. Konkrete Maßnahmen bestünden für mich in erster Linie nicht in Verboten – wie schon gesagt –, sondern im Vorleben des besseren Rollenmodells und in Bildung und Aufklärung, auch für die jungen patriarchalisch geprägten Männer, die oftmals das eigentliche Problem darstellen, vor allem aber für die Frauen und Mädchen. Gebildete und selbstbewusste Frauen und Mädchen, die in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind und deren Freiheiten zu schätzen gelernt haben, werden nur geringe Neigung zeigen, sich mit Kopftüchern abzuquälen. Lehrerinnen mit Bedeckungen halte ich angesichts der ausgesandten Signale allerdings für schlechte Vorbilder eines modernen entkrampften Geschlechterverhältnisses, sowohl für Mädchen als auch für Jungen, wie immer selbstbewusst sie sonst auftreten mögen; und in diesem Fall finde ich Verbote angemessen. Und schon kleine Mädchen in Schleier zu hüllen – ist das nicht eine Form von Gewalt, die ihnen ganz konkret Bewegungsfreiheit nimmt, und die sie darüber hinaus schon früh in ein starres Frauenrollenbild zwingt statt ihnen die Unbefangenheit zu lassen, einfach Kinder zu sein? Auch da fände ich Verbote angemessen.

Noch eine sehr persönliche Bemerkung beim Ansehen des Films „Das Mädchen Wadjda“ der saudi-arabischen Filmemacherin Haifaa Al Mansour. Wie deutlich in diesem wunderbaren Film um ein eigenwilliges und lebenshungriges Mädchen zum Ausdruck gebracht wird, dass Frau-/Mädchen-Sein in dieser Gesellschaft als Makel betrachtet wird, und die Frauen sich verhüllen müssen, um der Welt diesen Makel nicht zuzumuten, das tut mir schon beinahe körperlich weh.

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