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Debatte um das Ehegattensplitting

  • Autorenbild: Christiane Krieger-Boden
    Christiane Krieger-Boden
  • 14. Juli 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. Jan. 2022

Der SPIEGEL-Kolumnist Alexander Neubacher, der mir eigentlich sehr sympathisch ist, weil ich seine Kommentare oft 1:1 so unterschreiben kann, hat einen Kommentar zum Ehegattensplitting verfasst („Ein Popanz namens Hausfrauenehe“, SPIEGEL online, 26.06.2021), bei dem er nun aber meiner Meinung nach völlig falsch liegt. Dabei ist mir der Standpunkt, den er da vertritt, nicht fremd, ein geschätzter Kollege von mir vertritt den gleichen schon seit Jahren und wir haben schon oft leidenschaftlich darüber gestritten.


Grob gesagt, lautet die Argumentation, dass nicht das Ehegattensplitting an fehlender Gleichstellung von Männern und Frauen schuld sei. Zwar müssten dadurch in der Tat Ehepaare weniger Steuern zahlen, wenn die Einkommen der Partner sehr ungleich seien, doch dies sei keine steuerliche Begünstigung, sondern der Staat „verhalte sich nur vorbildlich neutral gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen“, indem er Ehepaare als Wirtschaftseinheit auffasse. Das Ehegattensplitting führe dazu, „dass gerade kein Anreiz für Eheleute besteht, sich in irgendeiner Weise zu verhalten". Wie ein Paar Arbeit und Einkommenserwerb unter sich aufteile – ob beispielsweise 50.000 € zu 0 €, oder 25.000 € zu 25.000 € –, mache fürs Finanzamt keinen Unterschied. Bei gleichem Gesamteinkommen bleibe die Steuer gleich. Der Autor macht außerdem geltend, dass Ehepartner auch in schlechten Zeiten füreinander einstehen müssten, selbst im Falle der Scheidung durch Zugewinn- und Rentenausgleich, und dass sie so dem Staat eine Last abnehmen würden. Letztlich seien die Forderungen von den „Parteien links der Mitte“, das Splitting abzuschaffen, nur „schwarze Pädagogik und eine schlecht getarnte Steuererhöhung“.


Ich sehe das ganz anders.

Es ist nämlich keineswegs gewiss, dass Ehepaare ein Leben lang füreinander einstehen; Ehen sind heutzutage viel eher Lebensabschnittsgemeinschaften. Die Entscheidung eines Ehepartners, zugunsten des anderen in seiner Karriere zurückzustecken, betrifft aber nicht nur den gemeinsamen Lebensabschnitt, sondern den gesamten Lebensweg dieser Person, und die ausgelassenen Karriereschritte kann man später nicht einfach wieder aufholen. In einem Scheidungsverfahren wird zwar ein Zugewinn- und Rentenausgleich vorgenommen, der die unterschiedlichen Rollen der Ehepartner berücksichtigen soll. Der bezieht sich jedoch lediglich auf die gemeinsame Vergangenheit, nicht auf die Zukunftsperspektiven der Partner, die sich möglicherweise gerade als Folge von Karriereentscheidungen während dieser Ehe sehr unterscheiden.


Im Scheidungsrecht wird der Fakt der Lebensabschnittsgemeinschaft neuerdings immer mehr berücksichtigt: Den Ehefrauen, die ihrem Ehemann zuliebe auf eine eigene Karriere verzichtet haben, wird heutzutage deshalb zugemutet, nach der Scheidung gleichwohl weitestgehend für sich selbst zu sorgen. Unterhaltsansprüche gibt es noch für die Kinder aus der Ehe, für den sorgeberechtigten Partner dagegen allenfalls, solange die Kinder noch sehr klein sind. Das finde ich auch gerecht und angemessen; es wäre eine Zumutung, eine gescheiterte Ehe qua Unterhaltsrecht lebenslang sozusagen zwangs-aufrechtzuerhalten. Aber es beißt sich eben mit dem Ehegattensplitting, denn der Karriere-Verzichter, der Geringer- oder Nicht-Verdiener unter den ehemaligen Eheleuten könnte eben dann doch dem Steuerzahler zur Last fallen, sei es als HartzIV-Empfänger(in) oder Bezieher(in) von Grundsicherung im Alter.


Dass viele Frauen zuhause bleiben, wenn ihr Mann mehr verdient als sie, „weil es sich wegen der Steuer nicht lohnt“, das kann man häufig hören, wenn man sich mit den Leuten unterhält, das ist keine Erfindung der SPD und der Grünen, auch nicht der OECD, die ebenfalls die Abkehr vom Ehegattensplitting regelmäßig anmahnt. Und dass die „Hausfrauenehe“ in Deutschland noch weit häufiger vorkommt als in anderen hochentwickelten Ländern ohne solch Splitting, ist ein statistisches Faktum.


Eine „schlecht getarnte Steuererhöhung“ muss die Abschaffung des Ehegattensplitting dabei durchaus nicht sein; man könnte sie aufkommensneutral gestalten (also allgemein die Steuersätze senken), oder das Geld anderweitig an die Bürger zurückfließen lassen. Gegenwärtig ist das Ehegattensplitting das finanziell bei weitem umfangreichste Instrument der „Familienförderung“ in Deutschland; dabei fördert es auch kinderlose Ehepaare und, sogar besonders ausgeprägt, sehr reiche Ehepaare, nicht hingegen Alleinerziehende und Familien mit zwei gleichen Verdiensten. Würde man dieses Geld stattdessen in ein Familiensplitting-Modell (ohne Einbeziehung des Ehegatten), oder in deutlich erhöhte Kindergeldzahlungen, oder in mehr Geld für bessere Bildungseinrichtungen stecken, so wäre den Familien erheblich besser gedient. Die laufende Unterstützungsleistung eines Familienmitgliedes gegenüber einem anderen kann man durch Berücksichtigung eines zweiten steuerfreien Grundfreibetrags würdigen (anteilig je nach Grad der Unterstützung); das sollte dann aber nicht vom Trauschein abhängen, sondern jede Unterstützungsleistung betreffen, sei es für nicht-eheliche Lebenspartner oder auch für Eltern, erwachsene Kinder, Geschwister oder für wen auch immer.


Und noch etwas grundsätzlicher:

Unser Grundgesetz begründet aus gutem Grund einen Gesellschaftsvertrag auf der Basis individueller Bürger, nicht der Familien oder gar Familienclans, und unser Staat sollte deshalb auch beim Steuerrecht dem Individuum begegnen und nicht einer wie auch immer definierten „Wirtschaftseinheit“. In anderen Gesellschaften bilden solche Clans immer noch die Basis der Gesellschaft, bieten eine gewisse soziale Absicherung und haben großen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben. Solche Gesellschaften vermitteln vielleicht mehr Geborgenheit und Zusammenhalt, sie gehen aber fast immer auch mit einer scharfen sozialen Kontrolle des Einzelnen einher, fast immer besonders zum Nachteil der Frauen. Solche Gesellschaften tendieren außerdem dazu, Wachtumsperspektiven zu beschneiden, weil finanzielle Erfolge einzelner Mitglieder immer mit allen – oft vielen! – geteilt werden müssen und besondere Anstrengungen sich daher nicht lohnen.


Nein, die individualisierte Beziehung zwischen Staat und einzelnem Bürger ist keine „schwarze Pädagogik“, sondern Anerkennung der Eigenständigkeit jedes Bürgers und jeder Bürgerin, ein zutiefst aufgeklärter, liberaler Fortschritt. Und sie sollte auf die Bereiche ausgedehnt werden, wo traditionelle Abhängigkeiten noch fortbestehen; das betrifft neben dem Ehegattensplitting beispielsweise die Witwen- und Witwerrenten (die schon ziemlich weit zurückgeführt wurden) und die Hinterbliebenen-Pensionen sowie die kostenlose Mitversicherung erwerbsloser Ehepartner in der Krankenversicherung; hier müssten jeweils für jedes Individuum eigene unabhängige Ansprüche aufgebaut werden.

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